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Pflichtverteidiger oder Wahlanwalt? Die richtige Auswahl treffen!
Rechtsanwalt Andreas Martin- Berlin Marzahn-Hellersdorf
Wenn man in einer strafrechtlichen Angelegenheit steckt, stellt sich oft die Frage: Bekommt man einen Pflichtverteidiger oder wäre es besser einen Anwalt seiner Wahl zu engagieren? Beide Optionen haben ihre Vor- und Nachteile, aber letztendlich hängt es vom individuellen Fall ab.
notwendige Verteidigung bei einem Verbrechen oder Untersuchungshaft
Ein Pflichtverteidiger wird dem Beschuldigten / dem Angeklagtem vom Gericht zum Beispiel zugewiesen, wenn dieser sich in Untersuchungshaft befindet oder es sich um ein Verbrechten handelt. Ein Verbrechen liegt vor, wenn die Mindestfreiheitsstrafe für das Delikt wenigstens 1 Jahr beträgt.
Die gesetzliche Grundlage für die notwendige Verteidigung findet man in § 140 Abs. 1 und Abs. 2 der Strafprozessordnung.
Dort heißt es:
§ 140 Notwendige Verteidigung
(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn
- 1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;- 2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;- 3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;- 4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;- 5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;- 6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;- 7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;- 8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;- 9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;- 10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;- 11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.(3) (weggefallen)
Das Recht auf notwendige Verteidigung ist ein wichtiger Schutzmechanismus für die Angeklagten, denn jeder hat das Recht auf eine faire und effektive Verteidigung. Der Pflichtverteidiger übernimmt dabei nicht nur die rechtliche Vertretung des Mandanten vor Gericht, sondern steht ihm auch beratend zur Seite.
Er sorgt dafür, dass die Rechte des Angeklagten gegenüber dem Staat gewahrt werden und setzt sich für dessen Interessen ein. Dabei ist es für den Verteidiger unerheblich, ob sein Mandant unschuldig oder schuldig ist – jeder hat das Recht auf eine Verteidigung.
Für kleinere Delikte gibt es also in der Regel keine Beiordnung eines notwendigen Verteidigers, wie zum Beispiel Diebstahl oder Betrug.
Für folgende – häufig vorkommenden Delikte – scheidet von daher eine Pflichtverteidigung in der Regel aus:
- einfacher Diebstahl
- Betrug
- Urkundenfälschung
- Fahren ohne Fahrerlaubnis
- unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (Verkehrsunfallflucht)
- Beleidigung
- Hehlerei
- sexuelle Belästigung
- üble Nachrede
- Verleumdung
- Hausfriedensbruch
Der Pflichtverteidiger wird vom Strafgericht bestellt. In Berlin ist dies in der Regel das Amtsgericht Tiergarten oder das Landgericht Berlin.
erfahrener Anwalt als notwendiger Verteidiger
In der Regel handelt es sich dabei um einen erfahrenen Anwalt mit entsprechender Fachkompetenz im Strafrecht. Der Angeklagte kann jedoch auch selbst einen Wunsch-Verteidiger benennen. Das Gericht setzt dem Beschuldigten ein Frist, innerhalb derer er den Pflichtverteidiger benennen kann. Hier kann der Angeklagte auch einen Fachanwalt für Strafrecht wählen. In der Regel soll ein Anwalt vor Ort gewählt werden.
außergerichtliche Bestellung eher selten
Eine Bestellung eines notwendigen Verteidigers schon im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist eher selten. Befindet sich aber der Beschuldigte – so nennt man diesen, wenn noch keine Anklage durch die Staatsanwaltschaft erhoben ist – in Untersuchungshaft wird auch im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger vom Strafgericht beigeordnet.
Wichtig zu wissen: Die Kosten für den Pflichtverteidiger trägt nicht der Angeklagte selbst, sondern die Staatskasse. Dies hat aber nichts mit dem Einkommensverhältnissen des Angeklagten zu tun.
Einkommensverhältnisse spielen keine Rolle
Auch ein Millionär bekommt einen Pflichtverteidiger beim Vorwurf einer schweren Straftat , denn das Recht auf einen Verteidiger ist ein grundlegendes Prinzip unserer Gesellschaft. Es geht hierbei nicht darum, ob der Beschuldigte sich den Anwalt leisten kann oder nicht – es geht um die Gewährleistung eines fairen Verfahrens und einer angemessenen Verteidigung. Nur bei schweren Straftaten kommt also überhaupt eine Pflichtverteidigung in Betracht.
keine Prozesskostenhilfe im Strafverfahren
Es gibt keine Prozesskostenhilfe im Strafverfahren für den Beschuldigten einer Straftat. Insbesondere Empfänger von Bürgergeld (früher ALG 2) gehen selbstverständlich davon aus, dass der Staat ihnen einen notwendigen Verteidiger im Strafverfahren beiordnet. Dem ist aber nicht so. Auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse kommt es nicht an. Dies mag für viele Menschen überraschend sein, da die Prozesskostenhilfe im Zivilverfahren eine wichtige Unterstützung darstellt. Doch im Strafverfahren gilt das Prinzip der Unschuldsvermutung und somit ist es nicht Aufgabe des Staates, den Beschuldigten finanziell zu unterstützen. Allerdings gibt es Möglichkeiten für Personen mit geringem Einkommen sich wenigstens kostengünstig über sog. Beratungshilfe im Strafverfahren beraten zu lassen.
Beratungshilfe – nur für die Rechtsberatung beim Anwalt
Die Beratungshilfe ist aber nur für die Rechtsberatung und im Strafverfahren nicht für die außergerichtliche Vertretung oder gar für das Gerichtsverfahren. Der Beratungshilfeschein deckt also nur die anwaltliche, strafrechtliche Beratung ab.
Doch trotz dieser gesetzlichen Regelungen sind viele Menschen skeptisch gegenüber einem Pflichtverteidiger. Sie befürchten, dass die notwendigen Verteidiger weniger engagiert oder kompetent seien als Wahlverteidiger. Dies stimmt aber nicht. Auch den Pflichtverteidiger kann sich der Beschuldigte im Strafverfahren in der Regel aussuchen.
Nachfolgend beantworte ich zum Thema Pflichtverteidigung und Strafverteidigung häufig gestellte Fragen (FAQ).
Wann hat man Anspruch auf einen Pflichtverteidiger?
Ein Anspruch auf einen Pflichtverteidiger besteht für den Beschuldigten einer Straftat in der Regel dann, wenn diesem für den Fall der Verurteilung eine Freiheitsstrafe von wenigstens 1 Jahr droht. Es ist jedoch auch möglich, dass ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird, wenn die Schwere des Falls oder die Komplexität des Verfahrens dies erfordert oder sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet. Man kann sich also merken, dass eine notwendige Verteidigung dann erfolgen kann, wenn entweder
- eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr droht oder
- der Fall rechtlich oder tatsächlich schwierig ist oder
- bei mehreren Angeklagten, die Mitangeklagten schon einen Anwalt haben oder
- der Beschuldigte / Angeklagte besonders schutzbedürftig ist.
Kommt es bei der notwendigen Verteidigung auf den Einkommensverhältnisse an?
Nein, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigen bzw. des Angeklagten spielen bei der Pflichtverteidigung keine Rolle. Das Rechtsinstitut der notwendigen Verteidigung ist nicht mit der Prozesskostenhilfe vergleichbar.
Gibt es denn nicht auch Prozesskostenhilfe im Strafverfahren?
Nein, für den möglichen Straftäter gibt es keine Prozesskostenhilfe. Der Beschuldigte / Angeklagte / Angeschuldigte muss sich selbst verteidigen oder einen Wahlanwalt bestellen, wenn er keinen Pflichtverteidiger beigeordnet bekommt. Für das Opfer einer Straftat kann es aber Prozesskostenhilfe geben.
Wie viel kostet ein Pflichtverteidiger?
Die gesetzlichen Gebühren eines Pflichtverteidiger nach dem RVG (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) sind etwas geringer als die Gebühren eines Wahlverteidigers. Die Kosten trägt aber nicht der Straftäter (Beschuldigte), sondern die Staatskasse übernimmt diese Pflichtverteidigerkosten.
Was macht ein Pflichtverteidiger?
Ein Pflichtverteidiger wird vom Strafbericht bestellt, um einen Angeklagten in einem Strafprozess anwaltlich zu vertreten. Er hat die Aufgabe, die Interessen des Mandanten zu verteidigen. Dabei steht ihm alle Rechte zu, die einem Verteidiger im Strafverfahren per Gesetz zustehen, wie zum Beispiel, das Recht auf Akteneinsicht und auf Zeugenbefragung oder das Einbringen eigener Beweismittel (Beweisantragsrecht).
Der Pflichtverteidiger kann – wie jeder Strafverteidiger – Berufung oder Revision gegen das Strafurteil einlegen.
Dennoch bleibt festzuhalten: Im Strafprozess muss jeder selbst dafür Sorge tragen, dass seine Rechte gewahrt bleiben und er angemessen verteidigt wird. Wer keinen Anspruch auf Pflichtverteidigung hat, muss sich entweder selbst verteidigen oder er sucht sich einen Wahlverteidiger, den er selbst bezahlen muss.
Wenn Sie weitere interessante Artikel zu rechtlichen Themen lesen möchten, dann schauen Sie doch regelmäßig auf unserem Blog vorbei. Wir werden auch in Zukunft spannende Themen behandeln und Ihnen wertvolle Tipps geben. Bleiben Sie am Ball und informieren Sie sich über Ihre Rechte und Pflichten!
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