BAG: kein Annahmeverzugslohn bei rückwirkender Begründung eines Arbeitsverhältnisses

Annahmeverzugslohn
Der Annahmeverzug des Arbeitgebers ist eine Form des Arbeitsentgelts ohne Arbeit. Der Grundsatz ist aber, dass ohne Arbeit kein Lohn zu zahlen ist. Dies geschieht oft nach einer unwirksamen Kündigung des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer erfolgreich mittels Kündigungsschutzklage dagegen wehrt und dann den Prozess vor dem Arbeitsgericht gewinnt.
Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers
Grundsätzlich muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vertragsgemäß beschäftigen, wenn dieser es verlangt, keine Ausschlussgründe vorliegen und die Interessen des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung überwiegen. Der Arbeitnehmer solltatsächlich arbeiten dürfen; er hat in der Regel einen Beschäftigungsanspruch. Schutzzweck dieses Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers ist ausschließlich das jedenfalls über die Generalklausel des § 242 BGB zu achtende Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und dessen Interesse an tatsächlicher Beschäftigung (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.06.2015 – 5 AZR 462/14).
Bundesarbeitsgericht und Annahmeverzugslohn
Wird ein Arbeitsverhältnis erst rückwirkend begründet, dann besteht kein rückwirkender Anspruch auf Annahmeverzugslohn, so das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 19. August 2015 – 5 AZR 975/13). Eine Arbeitnehmerin hatte erfolgreich ein arbeitsvertraglich vereinbartes Rückkehrrecht und damit die Zustimmung des Arbeitgebers zum Abschluss eines Arbeitsvertrages eingeklagt. Den Lohn ab der Geltendmachung des Rückkehrechtes (mehrere Jahre zurück) bekam die Arbeitnehmerin aber nicht. Ein Annahmeverzugslohn-anspruch – so das Bundesarbeitsgericht – setzt ein tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Dieses lag hier nicht vor, sondern wurde nur rückwirkend begründet.
Pressemitteilung Nr. 42/2015 des BAG vom 19.08.2015
Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs setzt ein erfüllbares, d.h. tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Bei rückwirkender Begründung des Arbeitsverhältnisses liegt ein solches für den vergangenen Zeitraum nicht vor. Das hat das BAG mit einem Urteil entschieden.
Die Klägerin war bis zum 31.12.1986 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Wirkung vom 01.01.1987 ging ihr Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs auf eine neu gegründete Gesellschaft, die C. GmbH, über. Die Beklagte garantierte ihr ein Rückkehrrecht. Über das Vermögen der C. GmbH wurde am 01.10.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet, worauf der Klägerin wegen Betriebsschließung zum 31.01.2010 gekündigt wurde. Die Klägerin machte ihr Rückkehrrecht gegenüber der Beklagten gerichtlich geltend. Die Beklagte lehnte den Abschluss eines Arbeitsvertrags unter Berufung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.10.2005 (Az.: 7 AZR 32/05) in einem nach ihrer Auffassung vergleichbaren Fall ab. Das Landesarbeitsgericht verurteilte die Beklagte rechtskräftig dazu, das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Arbeitsvertrags ab dem 01.02.2010 anzunehmen. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage rückständiges Arbeitsentgelt für die Zeit ab 01.02.2010.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs besteht nicht. Dieser setzt ein tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Ein rückwirkend begründetes Arbeitsverhältnis ist für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht tatsächlich durchführbar. Die Beklagte schuldet die Vergütung auch nicht nach § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB, weil sie die Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung für die Vergangenheit nicht zu verantworten hat. Die Beklagte befand sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum.
Rückkehrrecht nach Betriebsübergang und spätere gerichtliche Durchsetzung
Die Klägerin war ursprünglich bis zum 31. Dezember 1986 bei der Beklagten beschäftigt. Danach ging ihr Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Betriebsübergangs auf eine neu gegründete Gesellschaft, die C. GmbH, über. Die Beklagte hatte der Klägerin jedoch ein vertraglich zugesichertes Rückkehrrecht eingeräumt.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die C. GmbH und der anschließenden Kündigung zum 31. Januar 2010 machte die Klägerin ihr Rückkehrrecht gegenüber der ursprünglichen Arbeitgeberin, der Beklagten, geltend. Die Beklagte verweigerte den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags mit Verweis auf ein früheres BAG-Urteil aus dem Jahr 2005.
Gerichtlicher Anspruch auf Wiedereinstellung erfolgreich – dennoch kein Vergütungsanspruch rückwirkend
In dem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht wurde die Beklagte rechtskräftig verpflichtet, das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zum 1. Februar 2010 anzunehmen. Die Klägerin verlangte daraufhin rückwirkend Arbeitsentgelt ab diesem Zeitpunkt mit der Begründung, die Beklagte habe sich im Annahmeverzug befunden.
Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage jedoch auf die Revision der Beklagten ab. Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 BGB setze voraus, dass das Arbeitsverhältnis im fraglichen Zeitraum konkret erfüllbargewesen sei. Dies sei nicht der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis erst rückwirkend durch eine gerichtliche Entscheidung begründet wird. Für die Vergangenheit sei es dann gerade nicht „tatsächlich durchführbar“ gewesen.
Kein Ersatzanspruch nach § 326 Abs. 2 BGB bei entschuldbarem Rechtsirrtum des Arbeitgebers
Auch ein Anspruch auf Vergütung nach § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB scheidet laut BAG aus. Die Beklagte habe sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden, da sie sich auf ein früheres Urteil des BAG bezog, das sie in ihrer Rechtsauffassung bestärkte. Eine schuldhafte Verhinderung der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber habe daher nicht vorgelegen.
Bedeutung für die Praxis: Kein rückwirkender Annahmeverzugslohn ohne vorher bestehendes Arbeitsverhältnis
Die Entscheidung des BAG hat erhebliche praktische Relevanz für Fälle, in denen Arbeitsverhältnisse rückwirkend durch gerichtliche Entscheidungen entstehen. Solange kein tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis bestand – etwa weil der Arbeitgeber eine Beschäftigung abgelehnt und der Arbeitnehmer daraufhin erst erfolgreich geklagt hat –, besteht kein Anspruch auf Vergütung für die Vergangenheit.
Rechtsanwalt Andreas Martin