Ist die Teilnahme an einer Sitzblockade eine Straftat?
Sitzblockade
Inhaltsverzeichnis
Festkleben auf der Fahrbahn als neueste Prostestaktion
Gerade in Berlin (zuletzt Stadtautobahn BAB 100) kommt ist immer wieder zu Straßenblockaden. Gerade sog. „Klimaaktivisten“ kleben sich auf Straßen oder sogar auf Autobahnen, um gezielt den Straßenverkehr zu blockieren. Um eine schnelle Räumung zu verhindern, kleben sich dabei die Klimaaktivisten auf die Fahrbahn, was in der Regel dazu führt, dass es häufig einen langen Stau gibt. Um die Angelegenheit, dann für die betroffenen Verkehrsteilnehmer noch unangenehmer zu machen, werden dabei gezielt auch stark befahrene Straßenabschnitte und dann noch zur Rushhour blockiert. Dahinter steht die Protestgruppe „Aufstand der letzten Generation“, die damit von der Bundesregierung ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung erzwingen will. Ein solches Gesetz ist ein durchaus nachvollziehbares Anliegen; die Proteste sind dies aber nicht. Es stellt sich dann die Frage nach der Strafbarkeit der Aktivisten.
mehrere Straftatbestände können hier erfüllt sein
Es kommen hier mehrere Straftaten in Betracht, wie gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte etc. Die Problematik ist aber auch, dass eine Sitzblockade eine Protestart ist, um auf diese Weise das öffentliche Interesse auf bestimmte Zustände, Entwicklungen oder politische Missstände zu lenken. Damit kann diese einen besonderen Schutzbereich eröffnen, nämlich den der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG).
Nötigung- § 240 StGB
Der Straftatbestand, der wohl fast immer einschlägig ist, wäre die Nötigung nach § 240 StGB, da die Autofahrer gezwungen werden anzuhalten, obwohl diese ihre Fahrt fortsetzen möchten.
Im Gesetz steht dazu:
§ 240 Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2. seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.
Gewaltbegriff und Nötigung
Die Nötigung setzt die rechtswidrige Gewaltanwendung oder Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus.
Der Bundesgerichtshof entwickelte die sogenannte „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“, wonach eine Gewaltanwendung bei einer Sitzblockade dann vorliegt, wenn es bei einer Blockade zu einem Rückstau von Fahrzeugen kommt und die Fahrer durch die vor ihnen stehenden Autos physisch an der Weiterfahrt gehindert würden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 07.03.2011 – 1 BvR 388/05) sieht die Auslegung des BGH zum Gewaltbegriff bei der Nötigung als ausdrücklich verfassungsgemäß an.
Die Tatbestandsverwirklichung ergibt sich danach aus der mittelbaren Täterschaft der Demonstranten durch die ihnen zurechenbare Gewaltanwendung des ersten Fahrzeugführers als Tatmittler gegenüber den nachfolgenden Fahrzeugführern.
Diese Auslegung des Gewaltbegriffs wurde mit der Entscheidung des BVerfG vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 ausdrücklich als verfassungsgemäß anerkannt.
Verwerflichkeit der Gewaltanwendung
Eine strafrechtliche Nötigung setzt aber weiter eine sog. Verwerflichkeit voraus (siehe § 240 Abs. 2 StGB). Der Punkt ist der, ob eine Versammlung vorliegt, welche unter dem Schutzbereich des Art. 8 GG fällt oder nicht. Liegt eine Versammlung vor, dann ist die Nötigung in der Regel nicht verwerflich und damit liegt keine strafrechtliche Nötigung vor.
Abwägung der Grundrechtsinteressen – Ist die Teilnahme an einer Sitzblockade eine Straftat?
Erforderlich ist dabei die Abwägung der betroffenen Grundrechtsinteressen. Wichtige Abwägungselemente nach dem BGH sind dabei
- die Dauer und die Intensität der Aktion,
- deren vorherige Bekanntgabe,
- Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten,
- die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der
- Sachbezug zwischen der Fortbewegungsfreiheit der beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
Was spricht für die Nötigung?
Die Dauer (mehrere Stunden/ verschärft durch das Festkleben auf der Fahrbahn) und Intensität (Blockierung von mehrere hunderten Autofahrern) sprechen hier in der Regel für eine Verwerflichkeit. Schließlich suchen sich die Aktivisten gerade viel befahrende Straßen in Großstädten zur Rushour aus. Dazu sagen muss man aber auch, dass ein Sitzstreik in Klein-Quetschebach vor dem örtlichen Konsum wenig Aufmerksamkeit bringt und es nahe liegt, dort zu „demonstrieren“, wo ein gewissen Maß an Aufmerksamkeit zu erzielen ist. Auch sind die Ausweichmöglichkeiten durch die eben nicht erfolgte vorherige Ankündigung für Autofahrer – gerade auf der Autobahn- sehr gering.
Es sprechen – es kommt aber immer auf den Einzelfall (!) an – mehr Argumente dafür bei dieser Art von Protesten ein die Verwerflichkeit und damit die strafrechtliche Nötigung anzunehmen.
Rechtsanwalt Andreas Martin