Berliner Testament und Pflichtteil – was steht mir zu und was kann ich tun?
Rechtsanwalt Andreas Martin- Berlin Marzahn-Hellersdorf
Das Berliner Testament bietet Ehepaaren eine populäre Methode, um sich gegenseitig abzusichern und gleichzeitig die Erbfolge für die nachfolgende Generation festzulegen. Trotz seiner Beliebtheit birgt es jedoch auch Tücken, besonders im Hinblick auf den Pflichtteil, der gesetzlich verankerten Erbansprüchen bestimmter naher Angehöriger, insbesondere der Kinder des Erblassers.
Berliner Testament – was ist das?
Beim Berliner Testament setzen sich Ehepartner gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen ihre Kinder als Schlusserben für den Zeitpunkt nach dem Tod des zuletzt verstorbenen Ehepartners. Diese Art der gegenseitigen Begünstigung sorgt für eine unmittelbare Absicherung des überlebenden Ehegatten, ist aber kein ausreichender Schutz vor Pflichtteilsansprüchen nach dem ersten Erbfall.
Beim Berliner Testament werden in der Regel die Kinder für den ersten Todesfall enterbt.
Enterbung und Pflichtteilsentziehung sind zwei wichtige Begriffe aus dem Erbrecht, die häufig zu Missverständnissen führen.
Enterbung
Enterbung bedeutet, dass eine Person durch testamentarische Verfügung oder durch Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wird. Das bedeutet, die enterbte Person wird so behandelt, als würde sie zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr leben und hat somit keinen Anspruch auf einen Teil des Nachlasses im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge.
Die Enterbung erfolgt oft durch Testament und ist ein normaler Vorgang, wenn eine bestimmte Person als Erbe eingesetzt wird. Wird nämlich per Testament eine oder mehrere Personen als Erbe eingesetzt, dann sind automatisch alle anderen gesetzlichen Erben enterbt.
Beispiel: Die Eheleute haben 3 Kinder und setzten sich im Berliner Testament als Alleinerben gegenseitig ein. Dann sind alle Kinder für den ersten Erbfall enterbt, auch wenn dazu im Testament nicht ein Wort von Enterbung steht.
gesetzliche Grundlage der Enterbung
§ 1938 BGB beschreibt, dass ein Erblasser durch Testament einen Erben von der Erbfolge ausschließen kann. Die Enterbung führt dazu, dass der enterbte Erbe so behandelt wird, als ob er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr gelebt hätte.
Ansprüche bestehen auch bei Enterbung
Trotz Enterbung haben nahe Angehörige des Erblassers, wie Kinder, Ehegatten und unter bestimmten Umständen auch die Eltern des Erblassers, einen Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil. Dieser Anspruch kann nicht durch eine einfache Enterbung im Testament umgangen werden; dies wird oft übersehen.
Pflichtteilsentziehung
Die Pflichtteilsentziehung geht einen Schritt weiter als die Enterbung und ist eine erheblich strengere Maßnahme, die aber nur selten vorgenommen werden kann. Die Pflichtteilsentziehung zielt nämlich darauf ab, einer pflichtteilsberechtigten Person (z.B. einem Kind) auch diesen gesetzlich garantierten Anspruch zu entziehen. Die Pflichtteilsentziehung ist nur unter strengen Voraussetzungen möglich und muss im Testament oder Erbvertrag klar begründet werden.
§ 2303 BGB definiert den Pflichtteil als den Teil des gesetzlichen Erbteils, der bestimmten nahen Angehörigen des Erblassers auch gegen den Willen des Erblassers zusteht. Pflichtteilsberechtigt sind in erster Linie die Abkömmlinge, der Ehegatte oder Lebenspartner und die Eltern des Erblassers, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind.
Gründe für eine Entziehung des Pflichtteils
§§ 2333 bis 2336 BGB regeln die Pflichtteilsentziehung. Ein Pflichtteil kann unter bestimmten schwerwiegenden Umständen entzogen werden, wie beispielsweise bei einer schweren vorsätzlichen Straftat gegen den Erblasser oder nahe Angehörige des Erblassers. Die genauen Voraussetzungen für eine Pflichtteilsentziehung und die erforderlichen Schritte sind in diesen Paragraphen detailliert beschrieben.
Mögliche Gründe für eine Pflichtteilsentziehung sind beispielsweise:
- schwere vorsätzliche Straftat gegen den Erblasser oder nahe Angehörige des Erblassers
- Verletzung der Unterhaltspflichten gegenüber dem Erblasser in schwerwiegender Weise
- Führung eines sittlich anstößiges Lebens, das den Erblasser in erheblichem Maße belastet hat
Unterschied zwischen Enterbung und Pflichtteilsentziehung
Der Hauptunterschied zwischen Enterbung und Pflichtteilsentziehung liegt in den Auswirkungen auf den pflichtteilsberechtigten Angehörigen. Während die Enterbung lediglich den Anspruch auf den gesetzlichen Erbteil ausschließt, lässt die Pflichtteilsentziehung den Angehörigen auch seines grundgesetzlich geschützten Pflichtteilsanspruchs verlustig gehen. Die Entziehung des Pflichtteils ist im Erbrecht als letztes Mittel zu betrachten und unterliegt sehr strengen rechtlichen Voraussetzungen.
Das Berliner Testament bietet den Eheleuten einige Vorteile. Durch die gegenseitige Erbeinsetzung wird einer der Ehepartner mit Sicherheit der Erbe des anderen.
Vorteile:
- Absicherung des überlebenden Ehepartner durch Erbeinsetzung
- Reduzierung der Wahrscheinlichkeit der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem ersten Erbfall (Pflichtteilsstrafklausel)
- Klarheit und Vereinfachung der Erbfolge durch gegenseitige Einsetzung
- Anpassungsmöglichkeiten im Testament (weitere Klauseln über Vermögen/ Vermächtnis etc.)
- steuerliche Aspekte
Wichtig ist zu verstehen, dass durch das Berliner Testament die Eheleute sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen. Damit sind alle weiteren Personen, insbesondere auch gemeinsame Kinder, vom Erbe ausgeschlossen und enterbt. Diese haben aber einen Pflichtteilsanspruch. Nur bei einer Pflichtteilsenziehung, welche sehr schwierig ist, wäre der Pflichtteil ausgeschlossen.
Pflichtteil kann nicht ausgeschlossen werden
Mit dem Berliner Testament kann man diesen Pflichtteilsanspruch, gerade nach dem ersten Erbfall, nicht ausschließen. D. h., die Eheleute können nicht verhindern, dass nach dem Tod des ersten Ehegatten, zum Beispiel ein Kind, seinen Pflichtteil gegenüber den überlebenden Ehegatten geltend macht. Dies stellt für den überlebenden Ehegatten eine finanzielle Belastung dar.
Strafklauseln
Oft wird versucht durch bestimmte Klauseln, sogenannte Pflichtteilsstrafklauseln, ein solches Verhalten zu unterbinden. Mit einer Pflichtteilsstrafklausel kann man zum Beispiel bestimmen, dass das Kind, welches nach dem ersten Erbfall seinen Pflichtteil geltend gemacht hat, auch nach dem zweiten Erbfall nur den Pflichtteil bekommt. Das Kind wird also auch für den zweiten Erbfall enterbt und bekommt dann auch nach dem Tod des zweiten Ehegatten nur die Hälfte seine gesetzlichen Erbteils. Eine solche Klausel ist gängig und auch zulässig. Verhindern kann sie aber Die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem ersten Erbfall nicht, sondern nur versuchen die Motivation dafür zu verringern.
Wichtig ist zu verstehen, dass der Pflichtteilsanspruch nicht automatisch anfällt. Dieser muss aktiv geltend gemacht werden. In der Regel geschieht dies so, dass zum Beispiel ein Anwalt im Namen des Pflichtteilsberechtigten den Erben auffordert Auskunft über die Höhe des Nachlasses zu erteilen und gleichzeitig klargestellt, dass er den Pflichtteil seiner Mandantschaft geltend macht.
Auskunftsansprüche
Erst nach erteilter Auskunft ist es nämlich möglich die Höhe des Pflichtteils zu beziffern. Der Erbe und auch der Erbschaftsbesitzer sind zur Auskunft über die Höhe des Nachlasses verpflichtet. Belegansprüche gibt es in der Regel nur selten. In der Praxis werden die Belege aber oft mitgeschickt, um Streitigkeiten zu vermeiden.
Der Pflichtteil im deutschen Erbrecht entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, den der Pflichtteilsberechtigte erhalten hätte, wenn er nicht durch ein Testament oder einen Erbvertrag von der Erbfolge ausgeschlossen worden wäre. Pflichtteilsberechtigt sind in erster Linie die Abkömmlinge des Erblassers (z.B. Kinder), der überlebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und unter bestimmten Umständen die Eltern des Erblassers.
Beispielezur Berechnung des Pflichtteils:
Nachfolgend sind Beispiele für gängige Fälle aufgeführt.
Beispiel 1: Eheleute und 3 gemeinsame Kinder
Der Wert des Erbes beträgt 400.000 Euro.
- Ehepartner A und B haben drei Kinder: Kind 1, Kind 2 und Kind 3.
- Das Gesamtvermögen der Ehepartner beträgt 900.000 Euro.
Inhalt des Berliner Testaments:
- A und B setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein.
- Nach dem Tod beider Ehepartner soll das Vermögen zu gleichen Teilen an die drei Kinder gehen.
Szenario nach dem ersten Todesfall:
- Beim Tod von Partner A wird B Alleinerbe des gesamten Vermögens. Die Kinder erben zu diesem Zeitpunkt nichts. Diese haben aber einen Pflichtteilsanspruch, den sie geltend machen können, aber nicht müssen.
- Das gesamte Vermögen bleibt somit bei B.
Szenario nach dem zweiten Todesfall:
- Nach dem Tod von B tritt das Berliner Testament in Kraft, und das Vermögen wird unter den drei Kindern aufgeteilt. Es wird hier unterstellt, dass das Vermögen immer noch 900.00 Euro beträgt.
- Jedes Kind erbt somit 300.000 Euro.
Pflichtteilsanspruch:
- Mach ein Kind nach dem ersten Erbfalls einen Pflichtteil geltend, dann beträgt dieser 50% des gesetzlichen Erbteils beträgt.
- Angenommen, Kind 3 wurde enterbt. Ohne Enterbung hätte jedes Kind einen gesetzlichen Erbteil von 150.000 Euro gehabt. Der in Zugewinngemeinschaft lebende überlebende Ehepartner würde nämlich nach dem Gesetz die Hälfte der Erbmasse erben, also € 450.000. Die anderen 450.000 wären zu gleichen Teilen zwischen den Kindern zu verteilen gewesen. Die Hälfte eines solchen Anteils ist der Pflichtteil. Der Pflichtteil für Kind 3 wäre daher 75.000 Euro (50% von 150.000 Euro).
Beispiel 2: Eheleute und 2 gemeinsame Kinder
Der Wert des Erbes beträgt 400.000 Euro. Der Erblasser hinterlässt einen Ehegatten und zwei Kinder. Laut gesetzlicher Erbfolge würden der Ehegatte und die Kinder ohne Testament wie folgt erben:
- Der Ehegatte (in Zugewinngemeinschaft lebend) erhält 1/2 des Nachlasses (wenn es Kinder gibt), also 200.000 Euro.
- Die beiden Kinder teilen sich die andere Hälfte des Nachlasses, also jeweils 100.000 Euro.
Wurde nun in einem Testament eines der Kinder enterbt, behält dieses Kind dennoch den Anspruch auf seinen Pflichtteil. Der Pflichtteil des enterbten Kindes beträgt dann die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils:
- Gesetzlicher Erbteil des enterbten Kindes wäre 100.000 Euro (1/4 des Gesamtnachlasses).
- Der Pflichtteil beträgt daher 50.000 Euro (die Hälfte davon).
Das enterbte Kind kann somit die Auszahlung von 50.000 Euro aus dem Nachlass verlangen, selbst wenn es durch das Testament vom Erbe ausgeschlossen wurde.
Pflichtteil nach dem zweiten Erbfall
Wenn es eine Pflichtteilsstrafklauseln im Testamtent geben würde, würde das Kind auch nach dem zweiten Erbfall nur die Hälfte seine gesetzlichen Erbfalls bekommen. Dies wäre dann ebenfalls 25 % (gesetzliche wäre der Anteil 50 %).
Beispiel 3: die Eheleute haben nur 1 gemeinsames Kind
Der Wert des Nachlasses beträgt 200.000 Euro. Der Erblasser hinterlässt einen Ehegatten und ein Kind. Laut gesetzlicher Erbfolge würden ohne ein Testament der Ehegatte und das Kind wie folgt erben:
- Der Ehegatte erhält 1/2 des Nachlasses, also 100.000 Euro, und
- Das Kind erbt ebenfalls 1/2 des Nachlasses, also ebenfalls 100.000 Euro.
Wenn nun in einem Testament (z.B. Berliner Testament) das Kind enterbt wurde, behält es dennoch den Anspruch auf seinen Pflichtteil. Der Pflichtteil des enterbten Kindes beträgt die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils:
- Der gesetzliche Erbteil des enterbten Kindes wäre 100.000 Euro (1/2 des Gesamtnachlasses, da der Ehegatte die andere Hälfte erbt).
- Der Pflichtteil des Kindes beträgt daher 50.000 Euro (die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils).
Das bedeutet, selbst wenn das Kind durch das Testament vom Erbe ausgeschlossen wurde, kann es dennoch die Auszahlung von 50.000 Euro aus dem Nachlass verlangen.
Pflichtteil nach dem zweiten Erbfall
Wenn es eine Pflichtteilsstrafklauseln im Testamtent geben würde, würde das Kind auch nach dem zweiten Erbfall nur die Hälfte seine gesetzlichen Erbfalls bekommen. Dies wäre dann ebenfalls 25 % (gesetzliche wäre der Anteil 50 %). Gibt es aber keine solche Klauseln im gemeinschaftlichen Testament und ist auch kein anderer Erbe für den zweiten Erbfall bestimmt, dann bekommt das Kind alles, da es vom Gesetz her Alleinerbe wäre.
Häufige Fragen zum Thema „Testament und Pflichtteil“ finden Sie hier.
Kann ein Berliner Testament widerrufen werden?
Ja, ein gemeinsamer Widerruf durch die Ehepartner ist möglich. Nach dem Tod eines Ehepartners ist ein Widerruf durch den Überlebenden normalerweise nicht mehr möglich. Eine Ausnahme ist, wenn dies im Testament vorgesehen war.
Können Pflichtteilsansprüche der Kinder mit dem Berliner Testament verhindert werden?
Nein, Kinder, die durch das gemeinschaftliche Testament enterbt wurden, können Pflichtteilsansprüche geltend machen. Pflichtteilsstrafklauseln können solche Ansprüche zwar unattraktiv machen, aber nicht gänzlich verhindern
Ist das Berliner Testament eine Steuerfalle?
Das gemeinschaftliche Testament kann steuerliche Nachteile haben, da die Freibeträge der Kinder im ersten Erbfall nicht genutzt werden können, was im zweiten Erbfall zu einer höheren Steuerlast führen kann. Die Freibeträge sind aber dennoch recht hoch.
Was bedeutet Enterbung und wie wirkt sie sich auf den Pflichtteil aus?
Enterbung bedeutet, jemanden vom Erbe auszuschließen. Dies geschieht meist durch ein Testament. Für eine Enterbung ist nicht erforderlich, dass im Testament steht: “ Unser Kind wird enterbt“. Die Enterbung liegt schon dann vor, wenn eine bestimmte Person als Erbe (z.B. der andere Ehepartner) eingesetzt wird. Dann sind alle weiteren gesetzlichen Erben enterbt. Trotz Enterbung bleibt der Anspruch auf den Pflichtteil bestehen, der die Hälfte des gesetzlichen Erbteils beträgt.
Unter welchen Bedingungen kann der Pflichtteil entzogen werden?
Eine Pflichtteilsentziehung ist nur unter strengen Voraussetzungen möglich, z.B. bei schweren Verfehlungen gegen den Erblasser. Die Gründe müssen im Testament konkret dargestellt werden.
Was sind die Alternativen zum Berliner Testament?
Alternativen zum Berliner Testament sind Einzeltestamente oder ein Erbvertrag, der ähnliche Bestimmungen enthalten kann, aber auch darüber hinausgehen darf. Das Problem bei Einzeltestamenten ist aber, dass man sich nie sicher sein kann, dass der andere Ehepartner das Testament nicht zwischenzeitlich geändert hat oder dieses nach dem Tod des anderen Ehepartner nochmals ändert und eine andere Person als Erben einsetzt als z.B. abgesprochen wurde.
Wie können Pflichtteilsansprüche gemindert werden?
Indirekt kann der Pflichtteil durch Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers gemindert werden, wobei der Pflichtteilsergänzungsanspruch berücksichtigt werden muss. Schenkungen werden nämlich – innerhalb eines bestimmten Zeitraumes – über diesen beim Pflichtteil berücksichtigt. Hier sollte man sich auf jeden Fall anwaltlich beraten lassen.
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