krankheitsbedingte Kündigung sowie BEM und das Integrationsamt und das BAG
Die krankheitsbedingte Kündigung ist ein Unterfall der personenbedingten Kündigung. In der Praxis kommt die Kündigung wegen Krankheit durch den Arbeitgeber recht häufig vor. Die typischen Fälle sind Dauererkrankungen des Arbeitnehmers über sechs Wochen im Jahr oder häufige Kurzzeiterkrankungen. Dadurch wird der Arbeitgeber oft finanziell stark belastet. Ob eine solche Kündigung aber wirksam ist, hängt immer vom Einzelfall ab. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass der Arbeitgeber hier viel zu beachten hat und nicht selten die Arbeitsgerichte solche personenbedingten Kündigungen aufheben.
Inhaltsverzeichnis
Kündigungsschutzklage und Kündigung wegen Krankheit
Der Arbeitnehmer hat nur eine Chance, wenn er Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht innerhalb von 3 Wochen ab Zugang der Kündigung einreicht. In Berlin ist das Arbeitsgericht Berlin (Magdeburger Platz 1) zuständig. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber weiterarbeiten oder eine Abfindung aushandeln möchte. Für beide Fälle ist die Kündigungsschutzklage die richtige Klageart, auch wenn diese formell darauf gerichtet ist, dass durch das Arbeitsgericht festgestellt wird, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.
Klage auf Abfindung in der Regel nicht möglich
Eine Klage direkt auf Zahlung einer Abfindung ist in der Regel nicht möglich. In vielen Fällen werden – im Kündigungsschutzverfahren – dann Abfindungen vor dem Arbeitsgericht im Gütetermin ausgehandelt. Wichtig ist, dass ein Abfindungsanspruch in der Regel aber nicht besteht. Dies wissen viele Arbeitnehmer nicht. Die einzige Chance eine Abfindung zu erhalten, besteht in der Erhebung einer Kündigungsschutzklage.
Chancen im Kündigungsschutzverfahren und Abfindungszahlung
Man kann sagen, je besser die Chancen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzverfahren sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitnehmer auch eine Abfindung aushandeln kann. Eine anwaltliche Vertretung ist gerade bei der krankheitsbedingten Kündigung sinnvoll, da hier rechtlich schwierige Sachverhalte aufzuarbeiten sind. Die Einschätzung der Erfolgsaussichten ist oft schwierig.
BEM – betriebliches Eingliederungsmanagement
Was viele Arbeitnehmer nicht wissen ist, dass der Arbeitgeber in der Regel vor dem Ausspruch einer Kündigung wegen Krankheit ein sogenanntes betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen möchte.
Der Arbeitgeber soll nämlich gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX bei Arbeitnehmern, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt sind, die Wiedereingliederung des Beschäftigten planen. Dieses Verfahren wird als betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM / bEM) bezeichnet. Manchmal nennen Firmen dies auch Krankenrückführungsgespräch.
Arbeitnehmer muss nicht teilnehmen
Der Arbeitgeber muss dazu einladen. Der Arbeitnehmer ist aber nicht verpflichtet dieses Gespräch zu führen.
Wird das BEM nicht durchgeführt sind die Chancen für den Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren noch etwas besser. Der Arbeitgeber muss nämlich darlegen und gegebenenfalls nachweisen, dass das betriebliche Eingliederung zu keinem Erfolg geführt hätte. Dies ist nicht immer einfach.
Schwerbehinderung und BEM
Sofern der Arbeitnehmer schwerbehindert ist muss der Arbeitgeber das Integrationsamt/Inklusionsamt (so wird dies nun in Berlin genannt) vor dem Ausspruch der Kündigung anrufen und dort die Zustimmung zur Kündigung einholen. Wichtig ist dabei zu wissen, dass diese Zustimmung noch nicht bedeutet, dass der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren schlechte Karten hat. In der Regel wird das Integrationssamt immer der Kündigung zustimmen, sofern kein Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Schwerbehinderung besteht.
Es stellt sich aber die Frage, ob gegebenenfalls die Zustimmung des Integrationsamtes einen positiven Einfluss für den Arbeitgeber bei der Frage der Nichtdurchführung des betrieblichen Eingliederung mit hat. Es geht also darum, ob sich der Arbeitgeber darauf berufen kann, wenn er das BEM nicht durchgeführt hat, dass dieses ohne Erfolg gewesen wäre, wenn das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hat.
Entscheidung des Bundesarbeitsgericht
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 15.12.2022 – 2 AZR 162/22,) hat dies verneint. Nach dem Bundesarbeitsgericht spielt die Zustimmung des Integrationsamt des hinsichtlich des eines nicht durchgeführten betrieblichen Eingliederungsmanagement keine Rolle.
Das Bundesarbeitsgericht hat dazu folgendes ausgeführt:
Eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Solche Maßnahmen können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – seinem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, die im Rahmen eines bEM als zielführend erkannten Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern (vgl. BAG 18. November 2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 12; 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 24, BAGE 150, 117).
Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich zwar im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber jedoch gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden (BAG 18. November 2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 13; zu § 84 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung [aF]: BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 38, BAGE 150, 117). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die Kündigung durch mildere Mittel hätte voraussichtlich vermieden werden können, ist der Zeitpunkt ihres Zugangs.
Hat der Arbeitgeber nicht gänzlich davon abgesehen, ein bEM anzubieten, sind ihm dabei oder bei der weiteren Durchführung aber Fehler unterlaufen, ist für den Umfang seiner Darlegungslast von Bedeutung, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu identifizieren, die zu einer relevanten Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten führen können. Das kann der Fall sein, wenn dieser gerade aufgrund der verfahrensfehlerhaften Behandlung durch den Arbeitgeber einer (weiteren) Durchführung des bEM nicht zugestimmt hat, was regelmäßig einer darauf bezogenen tatrichterlichen Würdigung bedarf. Anderenfalls spricht der Umstand, dass ein Arbeitnehmer nicht zu seiner (weiteren) Durchführung bereit ist, grundsätzlich dagegen, dass durch ein bEM mildere Mittel als die Kündigung hätten identifiziert werden können (BAG 18. November 2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 16). Angesichts der unterschiedlichen sozial- und kündigungsrechtlichen Bedeutung des bEM haben jedenfalls nicht alle Verfahrensfehler bei seiner Durchführung Bedeutung für eine später ausgesprochene Kündigung.
Unbeschadet der Frage, ob an dieser vereinzelt gebliebenen Senatsentscheidung festzuhalten ist (zweifelnd bereits BAG 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 41), kann der vorstehende Rechtssatz auf das Verhältnis zwischen einem bEM und dem Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt nicht übertragen werden. Eine vom Senat in der Entscheidung vom 7. Dezember 2006 (- 2 AZR 182/06 – BAGE 120, 293) angenommene Vermutungswirkung der Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts findet bereits im Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX keine Stütze. Das bEM und das Verfahren nach den §§ 168 ff. SGB IX haben zudem unterschiedliche Ziele, prozedurale Abläufe und Beteiligte. Das bEM ist ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (vgl. BAG 18. November 2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 28). Hieran kann eine Vielzahl von Personen – insbesondere aus dem Betrieb – beteiligt werden (vgl. § 167 Abs. 2 SGB IX), die nach sachgerechten Lösungen zur Verbesserung des Arbeitsumfelds suchen. Damit soll im Ergebnis gerade der Ausspruch einer Kündigung vermieden werden. Demgegenüber überprüft das Integrationsamt einen vom Arbeitgeber bereits gefassten Kündigungsentschluss (vgl. §§ 168 ff. SGB IX) und trifft eine Ermessensentscheidung, bei welcher das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen ist (vgl. BVerwG 22. Mai 2013 – 5 B 24.13 – Rn. 12). Bei dieser Entscheidung unterliegt das Integrationsamt zum Teil Einschränkungen, wonach es in einer Reihe von Fallgestaltungen eine Zustimmung erteilen „soll“ (vgl. § 172 SGB IX). Der stattgebenden Entscheidung des Integrationsamts kann schließlich deshalb keine Bedeutung für die erweiterte Darlegungslast des Arbeitgebers zukommen, da sich die Wirksamkeit einer nachfolgend erklärten Kündigung nach arbeitsrechtlichen Normen aufgrund des von den Parteien im Kündigungsschutzverfahren gehaltenen Sachvortrags beurteilt und allein den Gerichten für Arbeitssachen obliegt (vgl. BAG 22. Juli 2021 – 2 AZR 193/21 – Rn. 15).
Rechtsanwalt Andreas Martin
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