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Kündigung bei Schwerbehinderung in der Probezeit
Kündigung und Kündigungsschutz schwerbehinderter Personen
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen Kündigungsschutz, und zwar sogenannten Sonderkündigungsschutz. Allerdings greift dieser Sonderkündigungsschutz erst nach einer Wartezeit von sechs Monaten ein. Das heißt, aus kündigungsrechtlicher Sicht, nach dem Kündigungsschutzgesetz, ist grundsätzlich die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers in der Wartezeit unproblematisch möglich.
Allerdings gibt es nun eine Entscheidung des LAG Köln, die zwar nicht direkt an den Sonderkündigungsschutz anknüpft, aber das sogenannte Präventionsverfahren als Voraussetzung für die Kündigung eines Schwerbehinderten in der Wartezeit/Probezeit verlangt. Wenn es nicht durchgeführt wird, ist die Kündigung unwirksam. Dies ist eine bemerkenswerte Entscheidung, da bisher angenommen wurde, dass ein solches Präventionsverfahren eben nicht in der Wartezeit durchzuführen ist.
Was ist ein Präventionsverfahren?
Das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs IX (SGB IX) ist ein wichtiges Instrument zur Vermeidung von Kündigungen schwerbehinderter oder gleichgestellter Menschen. Es dient dazu, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um Probleme im Arbeitsverhältnis zu lösen und die Beschäftigung des Betroffenen zu sichern.
In das Verfahren werden die folgenden Parteien einbezogen:
- Der Arbeitgeber: Er ist zur Einleitung des Verfahrens verpflichtet.
- Die Schwerbehindertenvertretung: Sie vertritt die Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers.
- Der Betriebsrat: Falls vorhanden, ist er ebenfalls zu beteiligen.
- Das Integrationsamt: Dieses kann auf Wunsch hinzugezogen werden, ist aber nicht zwingend.
Entscheidung des Landesarbeitsgericht Köln
Das LAG Köln (Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24) hält ein solches Verfahren für notwendig.
Die Ausgangssituation: Kündigung während der Probezeit
Der Kläger, geboren 1984 und mit einem Grad der Behinderung von 80, war seit dem 1. Januar 2023 im Bauhof einer Kommune beschäftigt. Bereits am 22. Juni 2023, also innerhalb der sechsmonatigen Probezeit, kündigte die Kommune dem Kläger ohne Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 167 SGB IX. Dies wirft die Frage auf, inwieweit schwerbehinderte Menschen in der Probezeit besonderen Schutz genießen und ob die Kündigung ohne Präventionsverfahren rechtmäßig sein kann.
Was besagt das Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX?
Das Präventionsverfahren dient dem Schutz von schwerbehinderten Menschen am Arbeitsplatz. Nach § 167 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei auftretenden personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzubeziehen. Ziel des Verfahrens ist es, Maßnahmen zu erörtern, die es ermöglichen, das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortzusetzen. Dies kann sowohl durch Beratungen als auch durch finanzielle Unterstützungen geschehen. Wird dieses Verfahren unterlassen, entsteht der Verdacht einer Diskriminierung wegen der Behinderung, was die Unwirksamkeit der Kündigung nach sich ziehen kann.
Rechtslage vor der Entscheidung des LAG Köln: Bisherige Rechtsprechung des BAG
Bis zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass während der Probezeit, also innerhalb der ersten sechs Monate, kein Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX erforderlich sei. Diese Auffassung basierte auf dem Argument, dass das Gesetz keine ausdrückliche Regelung für die Wartezeit enthalte und dass es praktisch schwierig sei, ein Präventionsverfahren in der kurzen Zeit der Probezeit durchzuführen.
Ein einschlägiges Urteil des BAG vom 21. April 2016 (8 AZR 402/14) zur bis 2017 geltenden Vorgängernorm des § 84 SGB IX bestätigte diese Sichtweise. Das BAG hatte damals entschieden, dass die Durchführung eines Präventionsverfahrens vor Ablauf der Probezeit nicht erforderlich sei, da der Schutzgedanke des SGB IX erst nach der Wartezeit greife. Somit wurden Kündigungen während der Probezeit von schwerbehinderten Menschen grundsätzlich als wirksam angesehen, solange keine eindeutige Diskriminierung aufgrund der Behinderung vorlag.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln: Ein Wendepunkt
Das Landesarbeitsgericht Köln widerspricht nun der bisherigen Auffassung des Bundesarbeitsgerichts. Nach Ansicht der 6. Kammer des LAG Köln ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Auslegung des § 167 SGB IX eine zeitliche Begrenzung auf die Zeit nach der Probezeit. Vielmehr sei der Arbeitgeber verpflichtet, bei auftretenden Schwierigkeiten bereits innerhalb der ersten sechs Monate ein Präventionsverfahren durchzuführen.
Die Entscheidung des LAG Köln begründet dies damit, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 167 SGB IX 2017 den präventiven Schutz von schwerbehinderten Menschen am Arbeitsplatz stärken wollte. Dies gelte unabhängig davon, ob sich der Arbeitnehmer noch in der Probezeit befinde. Aus der Vorschrift ergebe sich keine Ausnahmeregelung für die Wartezeit, sodass der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet sei, das Präventionsverfahren auch während der Probezeit durchzuführen.
Beweiserleichterung für Arbeitgeber: Ein pragmatischer Ansatz
Das LAG Köln erkannte jedoch an, dass es praktisch schwierig sein kann, ein Präventionsverfahren innerhalb der Probezeit abzuschließen. Deshalb nahm das Gericht eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers vor. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber im Streitfall beweisen muss, dass die Kündigung nicht wegen der Schwerbehinderung ausgesprochen wurde. Dies stellt sicher, dass der Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen in der Probezeit nicht vollständig ausgehebelt wird, ohne den Arbeitgeber in unzumutbare Verfahrenszwänge zu drängen.
Konkreter Fall: Warum die Kündigung des Klägers nicht unwirksam war
Im konkreten Fall stellte das LAG Köln fest, dass die Kündigung des Klägers nicht wegen seiner Schwerbehinderung erfolgte. Die Kommune konnte beweisen, dass andere betriebliche Gründe zur Kündigung führten, und somit war die Kündigung trotz des nicht durchgeführten Präventionsverfahrens rechtmäßig. Da keine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung vorlag, wies das Gericht die Kündigungsschutzklage des Klägers ab.
BAG – neue Entscheidung?
Das BAG kann in dieser Sache noch das letzte Wort haben. Ob der Fall aber zum BAG geht, muss abgewartet werden.
FAQ- häufig gestellte Fragen zum Haus, Trennung und Scheidung!
Nachfolgend beantworte ich häufig gestellte Fragen zum Thema „Kündigung und Schwerbehinderung“. Bitte klicken Sie auf die Sie interessierende Frage und sodann wird die Antwort angezeigt.
Was ist eine Kündigung?
Eine Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer können im Arbeitsverhältnis eine Kündigung aussprechen. Man unterscheidet hier zwischen einer ordentlichen und einer außerordentlichen Kündigung.
Ist eine fristlose und eine außerordentliche Kündigung das Gleiche?
In der Regel erfolgt eine außerordentliche Kündigung fristlos. Diese kann aber auch mit einer sozialen Auslauffrist, also nicht fristlos, erfolgen. Fristlos bedeutet zu wann die Kündigung erklärt wird und außerordentlich heiß, dass die Kündigung aus einem wichtigen Grund erfolgt, also keine ordentliche Kündigung ist.
Was ist Sonderkündigungsschutz?
Sonderkündigungsschutz ist ein besonderer Kündigungsschutz bestimmter Arbeitnehmergruppen. So haben zum Beispiel Schwangere, Schwerbehinderte, Betriebsräte oder auch Personen, die in der Familienpflegezeit sind, einen besonderen Kündigungsschutz. Dieser bestimmt sich dann nach Spezialgesetzen und nicht nach dem Kündigungsschutzgesetz. Der Schutz nach dem Kündigungsschutzgesetz kann aber daneben auch bestehen.
Nützt der Sonderkündigungsschutz bei einer fristlosen Kündigung?
Der Sonderkündigungsschutz schützt den Arbeitnehmer in der Regel vor jeder Kündigung. Allerdings hat die Sache einen Harken.
Der Arbeitgeber braucht für eine fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers, der Sonderkündigungsschutz genießt, die Zustimmung der zuständigen Behörde. Diese wird in der Regel aber beim Vorliegen eines wichtigen Grundes auch die Zustimmung zur fristlosen Kündigung erteilen. Von daher gilt zwar formell Kündigungsschutz, rein faktisch ist dieser Kündigungsschutz aber recht schwach, wenn ein außerordentlicher Grund vorliegt.
Gibt es für die außerordentliche Kündigung eine Frist?
Auch für die fristlose Kündigung gibt es eine Frist, die sogenannte Kündigungserklärungsfrist. Der Arbeitgeber hat gemäß § 626 Abs. 2 BGB nur zwei Wochen Zeit, nach Kenntnis vom Kündigungsgrund, die Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer zu erklären. Diese Frist muss zwingend beachtet werden, ansonsten ist die außerordentliche Kündigung unwirksam.
Muss ein Präventionsverfahren auch während der Probezeit durchgeführt werden?
Dies ist nicht sicher. Nach dem LAG Köln wäre ein solches Verfahren durchzuführen. Das Bundesarbeitsgericht hat dies (nach der neuen gesetzlichen Regelung) aber noch nicht entschieden.
Hat das Bundesarbeitsgericht diese Entscheidung bestätigt?
Die Entscheidung des LAG Köln ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG die Entscheidung in einer möglichen Revision bestätigen wird.
Gilt das Präventionsverfahren auch für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer?
Nein, das Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX gilt speziell für schwerbehinderte Menschen.
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