Minusstunden, Arbeitszeit und Corona – was ist zu beachten?
Arbeitszeit und Minusstunden
Im Gespräch mit Mandanten zum Arbeitsrecht fällt auf das Wort „Minusstunden„, auch im Zusammenhang mit dem Arbeitszeitkontingent, dass der Arbeitnehmer regelmäßig abzuarbeiten hat.
Inhaltsverzeichnis
Minusstunden und Arbeitszeitkonto
Hier spielen Begriffe, wie regelmäßige Arbeitszeit und Zeitarbeitskonto eine Rolle. Schon jetzt soll ausgeführt werden, dass dies nicht das Gleiche ist. Viele Arbeitnehmer wissen nicht, dass Minusstunden nicht so einfach entstehen können. In der Regel ist dafür ein vereinbartes Arbeitszeitkonto notwendig. Hier soll kurz auf die Frage eingegangen werden, ob Minusstunden angeordnet und gegebenenfalls nachgearbeitet oder sogar vom Lohn abgezogen werden können. Dies alles auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie mit entsprechender Anordnung von Kurzarbeit. Hier stellen sich noch zusätzliche Probleme.
Was sind Minusstunden?
Minusstunden fallen für den Arbeitnehmer an, wenn ein Arbeitszeitkonto wirksam vereinbart ist und geführt wird und ein Arbeitnehmer weniger arbeitet, als vertraglich vereinbart wurde.
Beispiel:
Im Arbeitsvertrag findet sich eine wirksame Regelung über die Führung eines Arbeitszeitkontos. Die regelmäßige, wöchentliche Arbeitszeit ist mit 40 Stunden angegeben. Arbeitet der Arbeitnehmer hier nur 20 h pro Woche, dann fallen 20 Minusstunden an, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aber trotztdem die vollen 40 h bezahlt.
Eine solche Regelung könnte lauten:
„Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden pro Woche. Nach dieser Stundenanzahl richtet sich die monatliche Vergütung. Die tatsächliche Arbeitszeit kann innerhalb des in der Anlage A1 zu diesem Arbeitsvertrag festgelegten Rahmens des Arbeitzeitkontos variieren (Arbeitszeitkontenabrede).“
Anmerkung: In der Anlage A1 würde man dann die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos finden.
Gibt es Minusstunden, wenn kein Arbeitszeitkonto vereinbart wurde?
Nein, Minusstunden setzen immer voraus, dass ein wirksames Arbeitszeitkonto zwischen Arbeitnehmern Arbeitgeber vereinbart wurde. Dieses kann sich im Arbeitsvertrag oder auch im Tarifvertrag befinden. Fast immer gibt es in der Zeitarbeit ein Arbeitszeitkonto in den anwendbaren Tarifverträgen (BAP/ iGZ). Im normalen Arbeitsverhältnis – ohne vereinbartes Arbeitszeitkonto – kann es keine Minusstunden geben.
Beispiel:
Im Arbeitsvertrag steht zur Arbeitszeit nur:
„Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden pro Woche. Pausen gelten nicht als Arbeitszeit. Die Lage der Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen und wird vom Arbeitgeber angeordnet.“
Wenn es auch keinen Tarifvertrag gibt, der kein Arbeitszeitkonto anordnet, dann können in einem solchen Arbeitsverhältnis keine Minusstunden entstehen. Dies betrifft die meisten Arbeitsverhältnisse. Der Normalfall ist, dass es kein Arbeitszeitkonto gibt.
Was ist, wenn der Arbeitgeber mich bei der regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden nur 30 Stunden beschäftigt? Muss ich die fehlenden 10 Stunden nacharbeiten?
Bei dieser Frage geht es um die Konstellation, dass kein Arbeitszeitkonto existiert, was in den meisten Arbeitsverhältnisses so ist. Grundsätzlich muss und kann man hier die 10 h nicht mehr nacharbeiten. Die Arbeit hat einen Fixschuldcharakter und kann grundsätzlich nicht nachgearbeitet werden. Ein Nacharbeiten ist von daher nicht rechtlich möglich.
Besteht ein Arbeitszeitkonto sind rechtmäßig angeordnete Minusstunden nachzuarbeiten/ auszugleichen.
Muss der Arbeitgeber mir trotzdem den vollen Lohn zahlen?
Nein, dass muss er im Normalfall nicht (auch hier ohne Arbeitszeitkonto).
Der Arbeitgeber muss grundsätzlich nur die geleistete Arbeitszeit bezahlen. Beschäftigt er den Arbeitnehmer 30 Stunden in der Woche anstatt von 40 Stunden, so muss er diesen grundsätzlich erst einmal auch nur 30 Stunden bezahlen. Bezahlt er freiwillig 40 Stunden, ist dies sein Problem. Trotzdem muss der Arbeitnehmer die Zeit dann nicht nacharbeiten.
Besteht ein Arbeitszeitkonto, dann hat der Arbeitnehmer ja den vollen Lohn erhalten.
Welche Art von Arbeitszeitkonten gibt es?
Es gibt verschiedene Arten von Arbeitszeitkonten, wie zum Beispiel Jahresarbeitszeitkonten, Kurzzeitkonten und Langzeitkonten. Alle haben eine Sache gemein. Sie müssen immer mit dem Arbeitnehmer vereinbart werden. Es muss sich im Arbeitsvertrag, oder auch im Tarifvertrag, eine wirksame Regelung finden, wonach ein Arbeitszeitkonto auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.
Wie entsteht ein Arbeitszeitkonto?
Ein Arbeitszeitkonto muss wirksam zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbart werden. Dies ist möglich durch einen Arbeitsvertrag, eine zusätzliche Vereinbarung oder zum Beispiel durch eine entsprechende Regelung in einem Tarifvertrag. Fehlt eine solche Regelung, besteht kein Arbeitszeitkonto. Dann können auch keine Minusstunden anfallen.
Muss der Arbeitgeber mich voll bezahlen, wenn er mich nicht mit der regelmäßigen Arbeitszeit beschäftigt?
Dieses Problem kommt oft vor (siehe oben). Es wird in der Praxis zum Beispiel eine regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche vereinbart und der Arbeitgeber beschäftigt den Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum immer weniger als 40 Stunden und bezahlt zum Beispiel nur 30 Stunden pro Woche.
Wichtig ist, es geht um die Fälle, in denen der Arbeitnehmer auch tatsächlich nur 30 Stunden die Woche gearbeitet hat.
Hier gilt der Fall, dass ohne Arbeit es keine Lohn gibt (ohne Arbeitszeitkonto).
Wenn der Arbeitnehmer nur 30 Stunden arbeitet, bekommt er nur 30 Stunden bezahlt. Hier gibt es aber eine Ausnahme.
Da sich der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag verpflichtet hat den Arbeitnehmer 40 Stunden zu beschäftigen und dies nicht einhält, hat der Arbeitnehmer eine Beschäftigungsanspruch. Damit der Arbeitgeber die fehlenden 10 Stunden, die hier nicht gearbeitet wurden, auch zahlen muss, muss dieser sich im Annahmeverzug mit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers befinden. Dies wiederum setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anbieten muss. In solchen Fällen muss von drei der Arbeitnehmer den Arbeitgeber regelmäßig darauf hinweisen, dass er die 40 Stunden pro Woche noch nicht gearbeitet hat und diese Arbeitszeit vom Arbeitgeber zu erfüllen ist. Dazu muss eine Regel seine Arbeitsleistung tatsächlich anbieten.
Was ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mehr gezahlt hat, als dieser gearbeitet hat?
Bezahlt der Arbeitnehmer den Arbeitnehmer zum Beispiel 40 Stunden pro Woche, obwohl dieser nur 30 gearbeitet hat, kommt es darauf an. Grundsätzlich ist dies ein Gehaltsvorschuss, da der Arbeitgeber nur die tatsächliche Arbeitszeit zu bezahlen hat. Gibt es ein Arbeitszeitkonto, so kann der Arbeitgeber dies entsprechend ausgleichen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Minusstunden auch wirksam entstanden sind.
Besteht kein Arbeitszeitkonto kann nicht einfach diese Stunden als Minusstunden geführt werden, da nie ein Arbeitszeitkonto vereinbart wurde und von da es auch keine Minusstunden gibt.
Müssen die Stunden nachgearbeitet werden?
Eine Nacharbeit ist nicht möglich, wenn kein Arbeitszeitkonto besteht. Die Arbeit hat Fixschuldcharakter und kann nicht nachgearbeitet werden. Wenn ein Arbeitszeitkonto besteht, dann ist zum Ausgleich des Kontos eine Nacharbeit grundsätzlich möglich,da ja eine flexible Arbeitszeit vereinbart wurde. Wichtig ist dabei, dass die Minusstunden tatsächlich wirksam entstanden sind.
Dürfen Minusstunden mit dem Urlaub verrechnet werden?
Eine Verrechnung von Minusstunden mit dem Urlaub ist grundsätzlich nicht möglich. Der Urlaub dient der Erholung und soll nicht der Nacharbeit dienen. Eine Verrechnung von Urlaub mit Minusstunden ist von daher grundsätzlich nicht möglich.
Rückforderung zu viel gezahlten Arbeitsentgelt?
Wenn also kein Arbeitszeitkonto besteht, dann besteht ein Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers, wenn eine versehentliche Zahlung des Arbeitgebers vorliegt.
Beispiel: Der Arbeitnehmer muss – ohne vereinbartes Arbeitszeitkonto – 40 h pro Woche arbeiten, arbeitet aber in einer Woche nur 25 Stunden. Das Lohnbüro des Arbeitgeber rechnet in Unkenntnis dessen hier 40 h ab.
Ergebnis: Der Arbeitgeber hat ein Rückforderungsanspruch auf das zuviel gezahlte Arbeitsentgelt gegen den Arbeitnehmer.
Darf der Arbeitgeber die Minusstunden bei Kündigung vom letzten Lohn abziehen?
Hier kommt es sehr stark darauf an, was im Arbeitsvertrag geregelt ist. Liegt kein Arbeitszeitkonto vor, darf auch nichts abgezogen werden, der Minusstunden gar nicht entstehen können.
Ist ein Arbeitszeitkonto wirksam vereinbart worden, kommt es darauf an. Wenn Minusstunden wirksam entstanden sind, ist ein Abzug grundsätzlich denkbar.
Darf der Arbeitgeber nach Belieben sog. Minusstunden anordnen?
Nein (hier wieder der Fall, dass ein Arbeitszeitkonto besteht), dies ist so einfach nicht möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil v. 26.01.2011 – 5 AZR 819/09 / Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil v. 08.09.2009 – 3 Sa 436/09) setzt die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer allein darüber entscheiden kann, ob eine Zeitschuld entsteht und er damit einen Vorschuss erhält. Andererseits kommt es zu keinem Vergütungsvorschuss, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands Vergütung ohne Arbeitsleistung beanspruchen kann oder sich der das Risiko der Einsatzmöglichkeit bzw. des Arbeitsausfalls tragende Arbeitgeber nach § 615 Satz 1 und 3 BGB im Annahmeverzug befunden hat.
Dies heißt im normalen Deutsch, dass der Arbeitnehmer, der arbeitswillig ist und seine Arbeitskraft anbietet und nur deshalb keine Arbeit erhält, da der Arbeitgeber keine Arbeit hat, nicht hinnehmen muss, dass Minusstunden angeordnet werden. Eine solche Anordnung ist unwirksam.
Darf der Arbeitgeber zur Vermeidung von coronabedingter Kurzarbeit zuvor Minusstunden anordnen?
Besteht kein Arbeitszeitkonto ist die unproblematisch nicht möglich.
Besteht ein Arbeitszeitkonto kommt es darauf an:
Der arbeitswillige Arbeitnehmer muss dies nicht hinnehmen. Die alleinige Ursache der Entstehung eines negativen Arbeitszeitkontos ist dann der Umstand, dass der Arbeitgeber keine Arbeit hat. Dieses Betriebsrisiko trägt er in der Regel auch bei Bestehen eines Arbeitszeitkontos, wenn der Arbeitnehmer arbeitswillig ist und seine Arbeitskraft anbietet.
Was ist, wenn der Arbeitgeber Kurzarbeit von 20 h pro Woche anordnet, dann aber keine Arbeit hat?
Die Anordnung von Kurzarbeit (auch diese muss vereinbart sein) ist in der Corona-Krise oft vorgekommen. Oft wurde die Kurzarbeit „Null“ angeordnet. Dann muss der Arbeitnehmer nicht arbeiten. Bei Kurzarbeit von 20 h pro Woche wird zeitlich begrenzt die regelmäßige Arbeitszeit der Arbeitnehmers abgesenkt. Der Arbeitgeber muss die 20 h nur dann bezahlen, wenn der Arbeitnehmer arbeitet oder sein Arbeitskraft (regelmäßig) tatsächlich angeboten hat, denn dann befindet sich der Arbeitgeber (siehe) oben im Annahmeverzug.
Was ist mit den Pfändungsfreigrenzen?
Der Arbeitgeber muss – selbst, wenn eine Überzahlung vorliegt – die Pfändungsfreigrenzen beachten und darf nicht einfach die Minusstunden (wenn diese berechtigt sind) vom letzten Gehalt abziehen ohne die Pfändungsfreigrenzen zu beachten.
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Rechtsanwalt Andreas Martin – Fachanwalt für Arbeitsrecht – Marzahn