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Kettenbefristungen im öffentlichen Dienst – Berlin
Gerade im öffentlichen Dienst – auch in Berlin – kommen wiederholt befristete Arbeitsverhältnisse häufig vor. Dies ist deshalb erstaunlich, da sowohl Landes- als auch Bundespolitiker aller Parteien ständig bekunden, dass man eigentlich Kettenbefristungen nicht wolle.
aufeinanderfolgende Befristungen und Mißbrauchskontrolle
Gerade wenn das Arbeitsverhältnis wiederholt befristet über Jahre geführt wird, stellt sich die Frage nach einem Missbrauch des Rechtsinstituts der Befristung, welches ja nur vorübergehend verwendet werden sollte.Das Bundesarbeitsgericht hat dazu Grundsätze aufgestellt (BAG 26. Oktober 2016 – 7 AZR 135/15).
Urteil des Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zur Kettenbefristung
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat nun in einem arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren einen Rechtsmissbrauch angenommen, wenn die Gesamtdauer der Befristung 8 Jahre übersteigt (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.8.2019 – 9 SA 433/19).
Befristungsfall des LAG
Dazu wie folgt:
Die Arbeitnehmerin war in einer 30-Stunden-Woche für € 2.700 brutto bei der Beklagten seit dem 1.4.2010 bis zum 31.12.2018 aufgrund von 9 (!) befristeten Arbeitsverträgen tätig. Die Verträgen gingen – mit Ausnahme einer Unterbrechung von 1.1.2016 bis zum 30.06.2016 – nahtlos ineinander über.
Die beklagte Arbeitgeberin beteiligt sich langjährig an einem Förderprogramm, „Passgenaue Vermittlung Auszubildender an ausbildungswillige Unternehmen“ , das aus Mitteln des BMWi und des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert wird. Damit wurden auch die Kettenbefristungen begründet.
Mit der Entfristungsklage vor dem Arbeitsgericht hat die Arbeitnehmerin die Unwirksamkeit der zuletzt vereinbarten Befristung geltend gemacht und dazu zur Begründung ausgeführt, es handle sich um eine Daueraufgabe, denn eine klare Abgrenzung zwischen Dauer- und Zusatzaufgaben sei hier nicht möglich.
Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage durch Urteil stattgegeben.
Dagegen legte die beklagte Arbeitgeber Berufung ein.
Begründung des LAG Berlin-Brandenburg
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies die Berufung zurück und führte dazu aus:
Die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses übersteigt acht Jahre. Der erste Vertrag wurde für die Zeit ab 1. April 2010 geschlossen, der zuletzt geschlossene Vertrag für die Zeit bis 31. Dezember 2018. Dies gilt auch, wenn die sechs Monate vom 1. Januar 2016 bis 30. Juni 2016, für die kein Arbeitsverhältnis bestand, herausgerechnet werden. Auch dann verbleiben acht Jahre und zwei Monate.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist aufgrund der Unterbrechung von sechs Monaten, zu der es nach etwas über fünf Jahren befristeter Arbeitsverhältnisse kam, nicht von einem neuen Fristlauf auszugehen. Es handelt sich um einen Überbrückungszeitraum, der nach dem Zweck der Missbrauchskontrolle keinen neuen Fristlauf in Gang setzt.
Das Bundesarbeitsgericht knüpft mit diesen Vorgaben zur Rechtsmissbrauchskontrolle an die Wertung des § 14 Abs. 2 TzBfG an.
Nach der Wertung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG sind diese Befristungsmöglichkeiten ausdrücklich nicht für erneute Befristungen mit demselben Arbeitgeber vorgesehen. Dies spricht dagegen, eine Rechtsmissbrauchskontrolle aufgrund der Dauer befristeter Arbeitsverhältnisse einzuschränken bzw. auszuschließen, wenn zwischen befristeten Arbeitsverhältnissen mit demselben Arbeitgeber ein überschaubarer Überbrückungszeitraum liegt. Auch vor dem Hintergrund des Zwecks der Missbrauchskontrolle, gemäß den europarechtlichen Vorgaben Befristungsmöglichkeiten als Dauerlösung durch Aneinanderreihung einzelner formal nachvollziehbarer Befristungen einzuschränken, können übliche Überbrückungszeiträume eine solche nicht ausschließen. Entsprechend hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass bei der Missbrauchskontrolle vorherige befristete Arbeitsverhältnisse auch dann zu berücksichtigen sind, wenn diese sich nicht nahtlos aneinander reihen …. .
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Zudem liegt die Anzahl der Verträge mit insgesamt acht Vertragsverlängerungen, d.h. neun abgeschlossenen befristeten Verträgen zwar noch nicht über der Grenze der allein für eine Missbrauchskontrolle ausreichenden Anzahl, aber an der Grenze hierzu. Dies spricht auch in der Gesamtabwägung dafür, eine Missbrauchskontrolle nicht aufgrund der sechsmonatigen Unterbrechung auszuschließen.
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Im Rahmen der vorzunehmenden Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ist aufgrund der von der Klägerin vorgetragenen bzw. unstreitigen Umstände von einem institutionellen Missbrauch auszugehen (vgl. zur Darlegungslast BAG, Urteil vom 10. Juli 2013 – 7 AZR 761/11 –, Rn. 29, juris; BAG, Urteil vom 23. Mai 2018 – 7 AZR 16/17 –, Rn. 32, juris). Auch wenn Streitgegenstand nur die zuletzt vereinbarte Befristung ist, sind bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung auch die vorhergehenden befristeten Arbeitsverträge mit einzubeziehen (BAG, Urteil vom 23. Mai 2018 – 7 AZR 16/17 –, Rn. 32, juris).